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Der Hirseverkäufer

Eines Tages ging Tokusan über den Markt einer nahegelegenen Stadt. Dabei fiel ihm besonders ein Hirseverkäufer auf, der die Vorzüge seiner Ware mit lauter Stimme anpries. Nachdem er den Mann eine Weile beobachtet hatte, knüpfte er ein Gespräch mit ihm an und war erstaunt über dessen kluge Bemerkungen.

"Für einen Hirseverkäufer sind sie ein grossartiger Philosoph", sagte er. "Als Eremit habe ich viel Zeit zum meditieren, stimmte der Mann zu."Haben sie gesagt Eremit?" fragte der Meister, denn er dachte, er hätte missverstanden. Der Mann deutete auf das Menschengedränge und sprach: "Durch die Erfordernisse der Umstände wurden die letzten Spuren meines Privatlebens ausgewischt. Nun ist meine Abgeschiedenheit vollkommen. "Bemerkenswert", sagte Tokusan, "wollen Sie dies bitte erklären" ? Der Mann fuhr fort. Vor langer Zeit wollte ich mich von der Welt zurückziehen, um ein Eremit zu werden. Ich wurde jedoch plötzlich von der Liebeskrankheit befallen und heiratete stattdessen. Meine Frau schenkte mir viele Kinder, einschliesslich einiger guter, aber lärmiger Söhne. Immer noch sehnte ich mich nach der Zurückgezogenheit, um zu meditieren. Aber die Ansprüche, die meine Familie zwangsläufig an mich stellte, nahmen zu, und meine Freizeit wurde immer kürzer. Endlich, als meine ganze Zeit ausgefüllt war, ging ich weg, und lebe jetzt allein im Schoss meiner Familie und im Lärm des Marktes. Ich bezweifle, ob ich je zurückkommen werde. Er bot Dokusan eine Handvoll Hirse an. Tokusan staunte als er die Hirse annahm. "Ich glaube, es gibt in ganz China niemanden ihresgleichen". Gutmütig wandte der Mann ein: "In ganz China gibt es niemanden ausser mir".

 

Der Hirseverkäufer in dieser Geschichte ist ein gutes Beispiel wie wir heute aus einer inneren spirituellen Haltung, inmitten unserer täglichen Aufgaben leben können. Entgegen aller gewöhnlichen Ansichten braucht er weder die Stille eines Klosters noch viel Zeit zum Meditieren. Er braucht lediglich seine alltäglichen Aufgaben mit ganzem Herzen, das heisst, mit seiner ganzen Aufmerksamkeit zu erfüllen und genau darin in innerer Abgeschiedenheit zu leben. Ein solcher Mensch macht seine Tätigkeit zum Gebet, und seine Arbeit zur Meditation. In diesem Sinne ist die Verbindung des inneren mystischen Weges mit den täglichen Verantwortlichkeiten die wir alle zu tragen haben für jeden Menschen möglich. Ob Hausmann oder Familienfrau, ob Managerin oder Arbeiter, aktive Kontemplative lassen sich nicht daran erkennen was sie tun, sondern wie sie es tun.

 

Pierre Brunner

 

Bild von Michele Bordoni "der Reisverkäufer"